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Das zukünftige Verbandskartellrecht - Artikel im Fachmagazin für die Führungskräfte der Verbände

Geschrieben von Dr. Nils Ellenrieder, LL.M. am 27. Januar 2021
Das zukünftige Verbandskartellrecht - Artikel im Fachmagazin für die Führungskräfte der Verbände

Die Wichtigkeit der kartellrechtlichen Compliance-Arbeit im Verband steigt enorm

Nachdem das Kabinett am 9. September 2020 den Regierungsentwurf („RegE“) beschlossen hatte, hat der Bundestag den Gesetzentwurf für eine 10. GWB-Novelle (sog. „GWB-Digitalisierungsgesetz"), dem Eilbedürftigkeit zugewiesen worden ist, am 29. Oktober in 1. Lesung beraten und dann an den federführenden Ausschuss für Energie und Wirtschaft überwiesen. Die 2. und 3. Lesung ist für den 17./18.12.20 avisiert. Das Inkrafttreten ist im ersten Quartal 2021 zu erwarten. Ein Blick auf die konkreten Regelungsinhalte des Entwurfs zeigt, dass die Novelle über zentrale Digitalisierungsthemen und weitere wichtige Änderungen hinaus auch ganz erhebliche Änderungen für die allgemeine kartellrechtliche Compliance-Arbeit von Verbänden mit sich bringt.

Am 4. Februar 2021 läuft die Umsetzungsfrist für die sog. ECN+-Richtlinie ab. Es geht also auf die Zielgeraden mit der 10. GWB-Novelle. Die Zeit ist somit reif, sich mit den konkreten Auswirkungen des RegE auf das Verbandskartellrecht zu beschäftigen.

KURZÜBERBLICK DER WESENTLICHEN REGELUNGSINHALTE

Es kommt zu Änderungen u. a. in folgenden Bereichen:

Änderungen der Missbrauchsaufsicht im Lichte der Digitalisierung

Wie der Name „GWB-Digitalisierungsgesetz“ schon sagt, verfolgt die 10. GWB-Novelle das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, das Wettbewerbsrecht insbesondere hinsichtlich der Anwendung seiner Missbrauchsverbote auf digitale Geschäftsmodelle effektiver zu machen. Zu diesem Zwecke wird ein ganzes Bündel von Änderungen vorgenommen. Für die Frage, ob eine marktbeherrschende Stellung vorliegt, soll es nach dem RegE in Zukunft auch auf den Zugang eines Unternehmens zu wettbewerbsrelevanten Daten ankommen. Auch wird das bei hybriden Plattformen relevante Kriterium der sog. Intermediationsmacht, d. h. die Bedeutung von Vermittlungsdienstleistungen für den Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten von Dritten, kodifiziert.

Im Rahmen der sog. „essential facilities doctrine“ (also der Zugangsverweigerung) spielt künftig auch der Zugang zu Daten eine Rolle. Des Weiteren soll in Zukunft das Konzept der sog. relativen Marktmacht unabhängig von der Größe der Unternehmen gelten. Darüber hinaus soll ein neuer Behinderungstatbestand das sog. Tipping, also das Kippen eines Marktes, verhindern.

Die Kernänderung liegt insgesamt betrachtet jedoch in der Einführung einer deutlich erweiterten Eingriffsbefugnis in Form des § 19a RegE. Zusätzlich zu den bisherigen Befugnissen soll künftig das Bundeskartellamt gegenüber einem Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb weitere Eingriffsmöglichkeiten haben.

Anspruch auf Entscheidung betr. „Kein Anlass zum Tätigwerden“ bei Kooperationen

Gemäß § 32c Abs. 4 RegE gibt es künftig eine sehr interessante Möglichkeit, Unternehmenskooperationen qua Entscheidung des Bundeskartellamts „abzusichern“. Im Falle horizontaler Kooperationen und bei Vorliegen eines erheblichen wirtschaftlichen Interesses besteht ein Anspruch auf förmliche Entscheidung des Bundeskartellamts, dass in einem bestimmten Fall kein Anlass zum Tätigwerden besteht.

Fusionskontrolle

Auch im Bereich der Fusionskontrolle kommt es zu erheblichen Änderungen. Die Aufgreifschwellen sollen von 25 Millionen Euro auf 30 Millionen Euro (sog. 1. Inlandsumsatzschwelle) und von 5 Millionen Euro auf 10 Millionen Euro (sog. 2. Inlandsumsatzschwelle) erhöht werden.

Erwähnt werden sollte auch die in § 39a RegE niedergelegte Befugnis des Bundeskartellamts, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung Unternehmen u. U. dazu verpflichten zu können, Zusammenschlüsse anzumelden.

Weitere Änderungen betreff en Zusammenschlüsse auf Bagatellmärkten, die Verlängerung des Hauptprüfverfahrens von vier auf fünf Monate, den Wegfall der Vollzugsanzeige, die Schärfung der Voraussetzungen für die Erteilung einer Ministererlaubnis sowie die befristete Herausnahme von bestimmten Zusammenschlüssen im Krankenhausbereich aus dem Regelungsregime der Fusionskontrolle.

Kartellschadensersatz

Im Bereich des Kartellschadensersatzes kommt es zu Änderungen insb. mit Blick auf die sog. Kartellbetroffenheit. So soll eine widerlegbare Vermutung dafür eingeführt werden, dass sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich eines Kartells fallende Rechtsgeschäfte mit Kartellteilnehmern vom Kartell „betroffen“ sind. Mit Blick auf Herausgabe- und Auskunftsansprüche bez. Beweismitteln zur Schadensberechnung soll klargestellt werden, dass diese auch für Ansprüche genutzt werden können, die vor Inkrafttreten der Herausgabe und Auskunftsansprüche im Jahre 2017 entstanden sind.

Umsetzung der ECN+-Richtlinie und Veränderungen im Bußgeldrecht

Die 10. GWB-Novelle dient auch ganz entscheidend der Umsetzung der sog. ECN+-Richtlinie, die im Wesentlichen Verfahrensfragen und Sanktionsbestimmungen zum Gegenstand hat (Richtlinie 2019/1 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften). Bis zum 4. Februar 2021 muss diese Richtlinie in den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt sein. Der Gesetzgeber setzt aber nicht rein die Richtlinie um, sondern nimmt auch weitere Anpassungen bspw. mit Blick auf das gerichtliche Kartellbußgeldverfahren vor.

Des Weiteren kommt es u. a. zu einigen Änderungen oder Neuerungen wie etwa mit Blick auf die Regelungen zur Akteneinsicht im Kartellverwaltungsverfahren, die Kodifizierung des Kronzeugenprogramms sowie die Änderungen bei den Verjährungsregeln. Wichtige Änderungen ergeben sich speziell auch in den folgenden Bereichen:

Ausweitung der kartellbehördlichen Ermittlungsbefugnisse

Die 10. GWB-Novelle ermöglicht künftig, jede natürliche Person zur Auskunft oder Herausgabe qua Auskunftsverlangen zu verpflichten. Wie auf EU-Ebene kommt es des Weiteren bei Durchsuchungen zu einer bußgeldbewehrten Mitwirkungspflicht. Die Selbstbelastungsfreiheit natürlicher Personen kann unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden, wobei ein Beweisverwertungsverbot für diesbezügliche Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen diese natürlichen Personen besteht. Insofern ergeben sich für Durchsuchungen wesentliche Anpassungen zum empfehlenswerten Kooperations- und Verteidigungsverhalten.

Zusätzliche Kriterien für die Bußgeldbemessung

Wichtig ist hierbei, dass auch das Nachtatverhalten benannt wird und damit im GWB die Einführung oder ggf. Verbesserung eines effektiven Compliance-Systems belohnt wird. Die noch wichtigere Frage in der Praxis, ob ein zum Zeitpunkt des Kartellrechtsverstoßes bereits bestehendes Compliance-Programm bußgeldmindernd zu berücksichtigen ist, wird von der Novelle nicht geregelt. Insofern ist hier weiterhin unklar, ob der Trend aus anderen Jurisdiktionen (wie etwa USA, Italien und Frankreich) und auch der BGH-Judikatur (BGH, 9.5.217 – 1 StR 265/16) von den Behörden und Gerichten aufgegriffen werden wird. Das GWB schließt dies jedenfalls nicht aus.

VERSCHÄRFTE BUSSGELDHAFTUNG FÜR VERBÄNDE

Ohne die zuvor genannten Änderungen in ihrer Bedeutung schmälern zu wollen, ist festzustellen, dass die drastischste Änderung aus Verbandssicht die deutliche Verschärfung der Bußgeldhaftung für Unternehmensvereinigungen ist. Der Bußgeldrahmen wird drastisch erhöht. Diese aus Compliance-Sicht von Verbänden sehr wichtige Änderung wird daher nachfolgend tiefergehend dargestellt.

Die Bußgeldhaftung von Verbänden hatte in den letzten Jahren bereits für Aufsehen gesorgt, da es jüngst in einigen Kartellverfahren des Bundeskartellamts auch zu Bußgeldern gegen Verbände gekommen war. Teilweise war Unternehmen wohl daraufhin der Rechtsrat erteilt worden, sich aus der Verbandsarbeit zurückzuziehen. Der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt hat aber im Jahre 2018 im Dialog u. a. mit Verbänden zu Recht klargestellt und deutlich gemacht, dass für einen Rückzug von Unternehmen aus der Verbandsarbeit kein Anlass besteht. Es ist unbestritten, dass die Verbandsarbeit für das Funktionieren der Wirtschaft eine sehr wichtige Funktion einnimmt. Im Fokus kann und muss somit die Vermeidung von Kartellrechtsverstößen unter Wahrung der Handlungsfähigkeit der Verbände stehen.

Nunmehr steht die Bußgeldhaftung von Verbänden erneut im Fokus des Interesses infolge der Haftungsverschärfung durch die 10. GWB-Novelle. Wesentliche Änderungen sind im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr zu erwarten.

Gemäß § 81c Abs. 2 Satz 2 RegE kann die Behörde weiterhin Geldbußgen gegen Unternehmensvereinigungen in Höhe von bis zu 10 Prozent ihres Gesamtumsatzes 48 Verbändereport 8|2020 verhängen. Darüber hinaus gilt aber nach dem neuen § 81c Abs. 4 S. 1 RegE im Falle der Bebußung wegen eines Kartellrechtsverstoßes, welcher mit den Tätigkeiten ihrer Mitglieder im Zusammenhang steht, dass das Bußgeld 10 Prozent der Summe des in dem der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes derjenigen Mitglieder, die auf dem von der Ordnungswidrigkeit betroffenen Markt tätig waren, nicht übersteigen darf. Gemäß § 81c Abs. 4 S. 2 RegE dürfen dabei Umsätze von Verbandsmitgliedern, gegen die bereits ein individuelles Bußgeld festgesetzt oder denen nach der Kronzeugenregelung die Geldbuße erlassen wurde, nicht berücksichtigt werden.

Neben dieser Ausweitung des Bußgeldrahmens für Verbände ist in § 81b RegE eine Ausfallhaftung der Mitglieder festgelegt, sofern der Verband zahlungsunfähig ist. Diese sog. Ausfallhaftung greift allerdings dann nicht, wenn ein Unternehmen darlegen kann, dass es von der Existenz des bußgeldbegründenden Verhaltens keine Kenntnis hatte bzw. sich vor dem Bußgeldverfahren aktiv distanziert hat und an der Umsetzung nicht beteiligt war. Für das einzelne Mitglied darf die Ausfallhaftung 10 Prozent des eigenen Gesamtumsatzes nicht übersteigen. Außerdem greift die Ausfallhaftung nicht, wenn gegen ein Unternehmen eine eigenständige Geldbuße verhängt wurde oder die Geldbuße infolge der Kronzeugenregelung erlassen wurde.

Der RegE rechtfertigt die verschärfte Haftung mit den Umsetzungserfordernissen der ECN+-Richtlinie. In diesem Kontext wird auch Art. 23 Abs. 4 der für das EU-Kartellbußgeldrecht maßgeblichen Vorschrift der sog. VO 1/2003 (Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln) verwiesen, die eine entsprechende Befugnis der Kommission normiert.

Ein Blick in die Details ergibt aber, dass die ECN+-Richtlinie deutlich überschießend umgesetzt wird. Denn Erwägungsgrund 48 der ECN+-Richtlinie stellt recht eindeutigen Bezug zu dem sog. „tatbezogenen Umsatz“ her, sodass auch im GWB eine entsprechende Begrenzung gelten muss.

Selbst im Falle dieser einschränkenden, d. h. insb. richtlinienkonformen und dem Schuldprinzip gerecht werdenden Auslegung, steigt das Haftungspotenzial für Verbände drastisch, da die Bezugsgröße von nun an nicht mehr alleine der Verbandsumsatz, sondern auch der Umsatz der Mitgliedsunternehmen ist. In welchem Umfang und mit welcher Schärfe diese Sanktionsmöglichkeiten in Deutschland zum Einsatz kommen werden, ist aktuell nicht vorhersehbar. Für Verbände bedeutet dies, dass sie aus zwei Gründen ihre Compliance-Anstrengungen im Kartellrecht vor allem mit Blick auf die besonders bußgeldrelevanten Hardcore-Verstöße auf einem strikten Level halten müssen:

  • Verbände unterliegen künftig einem noch mal deutlich verschärften Haftungsrisiko.
  • Mitglieder werden Verbandsmitgliedschaften mitunter kritisch hinterfragen, da ihnen infolge der Ausfallhaftung zusätzliche Haftungsrisiken drohen.

Es ist daher für Verbände empfehlenswert, die präventive kartellrechtsbezogene Compliance-Arbeit im Sinne einer effektiven Compliance auf folgende Punkte hin kritisch zu überprüfen:

  • Gibt es bereits einen verbandsindividuellen Kartellrechtsleitfaden, der über standardisierte „Dos and Don’ts“ insbesondere zum Informationsaustausch hinausgeht?
  • Gibt es eine Kartellrechtsrisikoprofilanalyse, welche die wesentlichen Tätigkeiten des Verbands umfassend abdeckt?
  • Werden die Kartellrechtsrisiken entsprechend den sich ggf. verändernden Verbandsaktivitäten laufend neu bewertet und im Leitfaden verarbeitet?
  • Gibt es Kartellrechtstrainings für die Verbandsmitarbeiter?
  • Gibt es Mechanismen, die eine Aufdeckung von Verstößen erleichtern und die Kartellrechts-Compliance absichern (etwa Auditierung, Meldemechanismen und Anreize)?

Fazit

Der RegE bringt in verschiedenen Bereichen erhebliche Neuerungen. Für Verbände, die nicht auf Digitalisierungsthemen fokussiert sind, dürfte das Thema „erweiterte Bußgeldhaftung“ insb. von prioritärem Interesse sein. Das Bußgeldrisiko des Verbands kann jedoch durch effektive Compliance-Maßnahmen aktiv gesteuert werden, sodass die Konsequenzen der Novelle im Endeffekt steuerbar erscheinen. Insofern ist die Erarbeitung und/oder Aktualisierung verbandsindividueller Kartellrechtsleitfäden eine wichtige Facette der Compliance-Arbeit von Verbänden.


Dr. Nils Ellenrieder, Verbändereport 08/2020

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