GWB-Digitalisierungsgesetz bringt auch im Kartellschadensersatz Neuerungen, insb. kurzfristig beim Zugang zu Beweismitteln – die Effektivität bleibt abzuwarten
Seit dem 24. Januar ist der Entwurf für eine 10. GWB-Novellierung (Referentenentwurf) auch offiziell zugänglich. Es wird auch im Bereich Kartellschadensersatz Änderungen geben. Im Rahmen der 9. GWB-Novelle hatte es bereits viele Änderungen infolge der Umsetzung der EU Richtlinie 2014/104/EU (sog. Kartellschadensersatzrichtlinie) gegeben. Viele Vorschriften sind infolge des intertemporalen Kartellrechts regelmäßig noch nicht praxisrelevant, da eine Anwendung erst auf nach dem 26. Dezember 2016 (Umsetzungsfrist der Kartellschadensersatzrichtlinie) entstandene Schadensersatzansprüche in Betracht kommt. Der Gesetzgeber möchte dennoch bereits im Rahmen der 10. GWB-Novelle hinsichtlich beweisrechtlicher und auskunftsrechtlicher Aspekte nachjustieren und auf jüngste Entwicklungen in der Rechtsprechung reagieren. Dies betrifft die Bereiche Betroffenheit vom Kartellrechtsverstoß sowie Auskunfts- und Offenlegungsansprüche von Kartellgeschädigten.
Durch den neu eingefügten § 33a Absatz 5 GWB wird eine widerlegliche Vermutung bezüglich der Betroffenheit der unmittelbaren Lieferanten oder Abnehmer eines Kartells bei Rechtsgeschäften mit kartellbeteiligten Unternehmen geregelt.
Hintergrund ist, dass sich seit Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle Zweifel ergeben hatten, ob Schadensersatzansprüche wegen eines Kartells ohne eine Erstreckung einer Vermutung auch auf die Betroffenheit wirksam durchgesetzt werden können. Anlass dafür bietet insbesondere das Urteil des BGH zum Schienenkartell (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018, KZR 26/17, WuW 2019, 91), mit dem der Bundesgerichtshof die von der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte etablierten Anscheinsbeweise zur Schadensverursachung und zur Kartellbetroffenheit für nicht anwendbar erklärt hat.
Daher erfolgt in § 33a Absatz 5 die Regelung einer widerleglichen Vermutung zu Rechtsgeschäften mit kartellbeteiligten Unternehmen und damit zugunsten von unmittelbaren Lieferanten und Abnehmern (und über den ebenfalls neuen § 33c Absatz 3 Satz 2 auch für mittelbare Abnehmer im Falle eines Passing-On) eines Kartells, wonach diese innerhalb des sachlichen, räumlichen und zeitlichen Bereichs des Kartells von diesem Kartell betroffen sind. Mit dieser Regelung soll laut Referentenentwurf sichergestellt werden, dass die Geschädigten eines Kartells den erlittenen Schaden von den Kartellbeteiligten wirksam einfordern können. Bisher hat die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oft schon deswegen vor erheblichen Schwierigkeiten gestanden, weil der Nachweis der Kartellbefangenheit eines konkreten Geschäfts den Klägern mangels entsprechender Informationen nicht möglich war. Durch die Vermutungsregelung fällt es nun in den Verantwortungsbereich der Beklagten, eine fehlende Befangenheit konkreter Geschäfte nachzuweisen.
Als Regelung zum materiell-rechtlichen Gehalt von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung des Kartellrechts tritt die widerlegliche Vermutung zur Betroffenheit nach den allgemeinen Regeln wie das gesamte Gesetz in Kraft und gilt damit nur für Schadensersatzansprüche, die nach diesem Zeitpunkt entstehen. Zudem ist sehr fraglich, ob die Vermutungsregelung auch in Informationsaustauschfällen Anwendung finden wird. Insofern ist die Auswirkung auf die aktuelle Praxis noch weniger relevant.
Von aktuell größerer Relevanz ist hingegen die Klarstellung zu § 186 Abs. 4 BGB im Referentenentwurf.
§ 186 Absatz 4 GWB-Entwurf stellt eindeutig klar, dass die §§ 33c Absatz 5, 33g sowie 89b bis 89e auch in Bezug auf Schadensersatzansprüche Anwendung finden, die vor dem 26. Dezember 2016 entstanden sind, und für die Anwendbarkeit dieser Vorschriften nur der Zeitpunkt der Klageerhebung maßgeblich ist.
Bereits die 9. GWB-Novelle hatte das Ziel, die gerichtliche Durchsetzbarkeit von Kartellschadensersatzansprüchen zu fördern. Zu diesem Zweck wurde mit § 33g GWB unter anderem ein Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln und auf Erteilung von Auskünften, die für die Erhebung eines auf Schadensersatz gerichteten Anspruchs erforderlich sind, in das GWB aufgenommen. Diese Regelung wurde teilweise sehr skeptisch gesehen, da sie als eine Art „discovery light“ im deutschen Recht als Fremdkörper angesehen wurde. Bislang hat diese Vorschrift kaum Wirkung entfaltet, da insb. die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf die Nichtanwendbarkeit für die aktuell anhängigen Fälle bedeutete.
In zwei Entscheidungen des OLG Düsseldorf (vom 3. April 2018 sowie vom 7. Mai 2018, Az.: VI-W (Kart) 2/18) wurde eine Anwendbarkeit von § 33g GWB auf Schadensersatzansprüche, die vor dem 26. Dezember 2016 entstanden waren, verneint. Begründet wurde dies mit dem Verweis auf § 33a GWB, der intertemporal eindeutig gemäß § 186 Abs. 3 S. 1 GWB erst ab dem 26. Dezember 2016 greift.
Der Referentenentwurf stellt unmissverständlich klar, dass Herausgabe von Beweismitteln und Erteilung von Auskünften nach §33g GWB „unabhängig vom Zeitpunkt der Entstehung der Schadensersatzansprüche“ möglich ist. Für die Anwendbarkeit ist nur der Zeitpunkt der Klageerhebung maßgeblich.
Inwiefern der Informationszugang von Klägern vermehrt über diese Norm künftig laufen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wird der Anwendungsbereich potentiell aufgrund der gesetzlichen Klarstellung erheblich breiter werden.