Dualer Vertrieb - Hersteller und Händler im Vertriebs-Wettbewerb: Welche kartellrechtlichen Anforderungen gelten für den Informationsaustausch zwischen Hersteller und Händler ab Juni 2022?
Das Thema „dual distribution“ oder Dualvertrieb ist aktuell viel diskutiert und brisant infolge der anstehenden Novellierung des Vertriebskartellrechts. Gemeint sind alle Konstellationen, in denen Hersteller auch im Direktvertrieb tätig sind und somit im Wettbewerb betreffend des Absatzes des eigenen Produkts zum Händler agieren. Die Kommission hatte in dem Entwurf aus dem letzten Jahr einen kartellrechtlich verschärften Ansatz für den Dualvertrieb speziell mit Blick auch auf den Informationsaustausch zwischen Hersteller und Händler vorgeschlagen. Auf vielfache Kritik hin wurde der Ansatz nunmehr klarer gefasst und präzisiert. Dies erhöht in gewissem Maße die Rechtssicherheit. Im Kern bleibt es aber bei dem verschärften Ansatz, der in der Praxis schon ab Juni dieses Jahres zu berücksichtigen sein wird.
Im Juli letzten Jahres wurde der Entwurf der Europäischen Kommission für die neue sog. Gruppenfreistellungsvereinbarung für vertikale Vereinbarungen (sog. Vertikal-GVO 2022) samt Vertikalleitlinien veröffentlicht. Kurz umschrieben geht es dabei um das sog. Vertriebskartellrecht, also um die Bewertung von Wettbewerbsbeschränkungen in Lieferverträgen, Bezugsverträgen und insb. auch Distributionsverträgen, und zwar grundsätzlich zwischen Nichtwettbewerbern. Der duale Vertrieb nimmt in diesem Kontext eine Sonderrolle ein, da Distributoren und Hersteller auf der Handelsebene als (markeninterne) Wettbewerber gelten.
Unter der bisherigen Vertikal-GVO 2010 gab es grundsätzlich Freistellungsmöglichkeiten für Dualvertriebskonstellationen, insbesondere wenn die Marktanteile unter 30% lagen und keine sog. Kernbeschränkungen vorlagen. Auch der Informationsaustausch zwischen Hersteller und Distributor konnte in diesem Lichte von der Freistellung profitieren.
Nunmehr soll nach der Vertikal-GVO 2022 eine Freistellung verschärften Anforderungen unterliegen. Insbesondere soll bei Marktanteilen zwischen 10% und 30% der für die praktische Abwicklung der Geschäftsbeziehung zwischen Hersteller und Händler wichtige Informationsaustausch einer Einzelfallprüfung unterzogen werden. Der Maßstab dafür sollte in Parallele zu „normalen“ Wettbewerbsverhältnissen aus den sog. Horizontalleitlinien und dem entsprechenden Abschnitt zum Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern gezogen werden.
U.a. die massive Kritik in Bezug auf dadurch entstehende Rechtsunsicherheit bei gleichzeitiger zwingender Notwendigkeit des Informationsaustauschs in Fällen der dualen Distribution hat dazu geführt, dass die Kommission in den Vertikalleitlinien Ausführungen für die kartellrechtliche Bewertung des Informationsaustauschs zwischen Herstellern und Händlern im Kontext des dualen Vertriebs aufnehmen wird und einen entsprechenden Entwurf dafür vorgelegt hat.
Prinzipiell wird anerkannt, dass ein Informationsaustausch zwischen Lieferant und Käufer wettbewerbsförderlich sein kann, u.a. mit Blick auf Optimierung der Produktion und des Vertriebsprozesses. Das gilt auch im Dualvertrieb. Andererseits müssen negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen Hersteller und Distributor vermieden werden. Diese Einzelfallabwägung hängt zunächst wesentlich von dem jeweiligen Vertriebsmodell ab (Alleinvertrieb, Franchise, selektiver Vertrieb oder genereller Liefer- oder Vertriebsvertrag etc.). Denn je nach Modell bedarf es teilweise unterschiedlicher Informationen, um das Vertriebsmodell zu installieren. Der Informationsaustausch, welcher zur Verbesserung der Produktion und des Vertriebs der Vertragsprodukte durch die Parteien erforderlich ist, wird als zulässig betrachtet.
Übergeordnet hat die Kommission folgende nicht abschließende Liste für zulässigen bzw. nicht zulässigen Informationsaustausch definiert:
Ein Informationsaustausch, der nicht über den Weg der Vertikal-GVO und Leitlinien gerechtfertigt werden kann, muss nach dem Entwurf der Kommission einzelfallmäßig auf seine individuelle Freistellungsfähigkeit unter Einbeziehung der Grundsätze der Horizontalleitlinien geprüft werden.
Zwecks Reduzierung des Kartellrechtsrisikos, insbesondere auch für den Fall der Überschreitung der Marktanteilsschwellen, werden folgende Maßnahmen von der Kommission vorgeschlagen:
Der Vorschlag der Kommission erhöht in gewissem Maße die Rechtssicherheit und ist insofern ein Schritt in die richtige Richtung. Da nicht alle Fallkonstellationen geregelt werden können, müssen die Listen dynamisch durch Fallpraxis ergänzt werden. Das Konzept für die Fälle, in denen der safe harbour der Vertikal-GVO nicht greift, also insbesondere bei hohen Marktanteilen, ist aktuell nicht klar geregelt. Ob die vorgenannten Grundsätze auch hier sinngemäß oder wenigstens in angepasster Form Anwendung finden können, sollte in der finalen Fassung der Vertikalleitlinien klargestellt werden. Die Risikoverteilung für den Fall von Verstößen ist ambivalent. Wenn es um Informationen geht, die tendenziell die Transparenz für den Hersteller erhöhen und somit eher vertikaler Natur sind, ist das Risiko tendenziell primär auf Herstellerseite. Jedenfalls wenn es um horizontale Aspekte wie etwa bspw. Informationsaustausch zu individuellen Kunden geht, steht der Horizontalwettbewerb zwischen Wettbewerbern im Vordergrund, so dass sowohl Hersteller und Händler ein hohes Sanktionsrisiko für den Fall von Verstößen tragen. Da die neuen Vorschriften spätestens ab Juni greifen, ist im Falle einer aktuell abweichenden Handhabung eine kurzfristige Anpassung an die neue Rechtslage angezeigt.
Reformhintergrund
Entwurf der Kommission insb. zum Informationsaustausch im Dualvertrieb
Demnach soll folgendes gelten:
Grundsätzlich zulässiger Austausch
Grundsätzlich nicht erforderlicher und somit unzulässiger Austausch:
Informationsaustausch außerhalb Vertikal-GVO und Leitlinien
Risikoreduktion
Fazit